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parsVival (with Benjamin Saurer)
15.09. - 13.10.2007
Schnittraum // Lutz Becker, Cologne


















Press Release:

In einer Zeit, in der Künstler nicht mehr Werke sondern Projects ansammeln, researchen anstatt Bilder malen und mehr auf den Markt als auf ihr Herz hören, formieren sich Manuel Gnam und Benjamin Saurer zu parsVival: Ein fakes Biotech-Unternehmen, beseelt von einem Erlösungsgedanken wie Wagners Parsifal, aber im Ars-Viva-Gewand. parsVival erforschen die Wirkung von Kunst auf den menschlichen Organismus und davon ausgehend, wie sich Kunst in medizinischer Hinsicht nutzbringend einsetzen lässt, konkret, zum Kurieren am Symptom.
Bei der Präsentation im September 2007 im Schnittraum in Köln legen parsVival eine Versuchsanordnung an: zehn Mäuserüden eines eigens gezüchteten Stammes werden mittels Tarantelgift in einen Zustand versetzt, der sich laut dem Mediziner Ernst Anton Nicolai in Herzensangst, Traurigkeit und wunderlichen Handlungen äußert und sich mit keiner herkömmlichen Behandlungsmethode bekämpfen lässt. „Nur die Musik ist das sicherste und heilsamste Mittel.“1 So wird der zuvor nicht artikulierbare Wahn in geordnete Bahnen gelenkt und das Gift nach und nach ausgeschieden. Auch kann das Gift im Sinne einer Droge zu ungeahnten Leistungen bewegen „und wenn einen die Tarantel beißt, so tanzt man mit ungemeiner Gelenkigkeit, wenn man auch sonst nicht tanzen gelernt hat.“2 Zu diesem Zweck versuchen sich mehrere professionelle Musiker an den vorbehandelten Testmäusen. Zur weiteren Veranschaulichung wird auch eine Tarantel gezeigt.
„Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra, und wenn er ein Tänzer ist, nimmermehr doch ein Taranteltänzer.“3
Hilft Virtuosität gegen biologische Vergiftungen bei gleichzeitiger Ignoranz der Probanden gegenüber der Behandlung? Und wird das Konzert nicht viel eher zu einem Schauspiel, wenn die Zuhörer ein völlig unmusikalisches Volk von Mäusen sind4, die nur auf Therapie ihrer zugegebenermaßen eher ungeistigen Leiden aus sind? In jedem Fall erfüllt keiner der Akteure mehr seine vertraute Rolle, weder die Musiker, die zu ganz anderen Zwecken die Instrumente bearbeiten, noch die Zuhörer, die nur kuriert werden wollen, noch das Ausstellungspublikum, das der künstlerischen Äußerung weniger Beachtung schenkt als deren heilendem Effekt. Oder wahrscheinlich erfüllt damit doch jeder genau seine Rolle.
Während heuer so genannte konzeptuelle Installationen eher Eventmodule sind, „nobilitierte Brocken einer ästhetisierten Service-Ökonomie, die sich des empathischen Kunstanspruchs längst entledigt hat“5, schaffen parsVival eine klinische Situation zur kontrollierten Beobachtung ihrer eigenen konstituierenden Bedingungen und auch denen jeder performativen Äußerung mit all ihren Missverständnissen, Geltungssucht und Eigeninteressen.
Ein jeder sollte sich öfter an die eigene Nase fassen. 

1 Ernst Anton Nicolai: „Die Verbindung der Musik mit der Artzneygelahrtheit“, Halle im Magdeburgischen, Verlegts Carl Hermann Hemmerde, 1745, S.57
2 Joseph von Eichendorff: „Aus dem Leben eines Taugenichts“, Schöningh, Paderborn 1982, S.22
3 Friedrich Nietzsche: „Also sprach Zarathustra“, Alfred Kröner Verlag, Leipzig 1930, S.110
4 Franz Kafka: „Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse“
5 Diedrich Diederichsen: „Deutsche Kunst vor und nach 1989: Politik, Projekte und Patriarchen“, in: Reality Bites, Kunst nach dem Mauerfall“, Hatje Cantz, 2007, S.200